Monika Zscheppank – Rede zur Ausstellungseröffnung: Carla Weckeßer und Cvetanka Kirilova-Schnorrbusch, Chemnitz, 02.02.2010

Gegenliebe – ist das nicht ein Antagonismus? Gegen und Liebe – Wenn ich etwas liebe bin ich dafür – nicht dagegen. Und wenn ich dagegen bin, dann liebe ich es nicht. – Oder können Gegensätze, können zwei künstlerische Sprachen ganz individuell, also zwangsläufig irgendwo gegensätzlich sein und doch zusammenpassen, wie in unserer Ausstellung heute? – Ich denke, diese Frage können Sie nur selbst beantworten in der Auseinandersetzung mit den Werken unsrer beiden Künstlerinnen.

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„Zu jeder Kunst gehören zwei: einer, der sie macht, und einer, der sie braucht“ hat Ernst Barlach einst gesagt. Heute haben wir also zwei, die Kunst machen und ich würde mir wünschen, dass sich im Publikum auch zwei oder mehr finden, die die Kunst von Carla Weckeßer und Cvetanka Kirilova Schnorrbusch brauchen. 

Die beiden Künstlerinnen, so unterschiedlich sie sind, verbindet viel: nicht nur, dass wir es mit zwei klugen, feinsinnigen und reifen Frauen zu tun haben, die genau wissen, was sie wollen, die aber doch genug Frau sind, dies leise und bedacht anzubringen. Sie drängen sich nicht auf mit ihren Werken, aber sie schleichen sich ein in unser Empfinden – und damit fangen sie den Betrachter und fesseln ihn. Die Arbeiten der beiden Künstlerinnen sind nicht vordergründig modern: sie sind gegenständlich, andererseits aber genügend übersetzt, um dem Betrachter viel Raum zu lassen für eigenes Denken und Fühlen und eine eigene Interpretation. 

Es ist ihre Art, das Leben zu sehen, es zu gestalten und in ihren Kunstwerken zu reflektieren, die sich überträgt beim Beschauen der Bilder und Plastiken, welche dazu noch zum Anfassen und liebevollen Streicheln verführen. 

Die Gegenliebe der beiden Künstlerinnen war eine Liebe auf den ersten Blick; sie „können miteinander“. Ihre Werke, nebeneinander ausgestellt, ergänzen und bereichern sich gegenseitig. Ein Schwingen auf der gleichen Wellenlänge durchzieht die Ausstellung wie eine gelungene Komposition, wie ein Lied, das uns im Kopf bleibt, und wiederkehrt und uns unmerklich lächeln lässt.

Wenn wir uns die Bilder von Carla Weckeßer und die Skulpturen von Cvetanka Kirilova Schnorrbusch betrachten, so fällt uns sofort eine Verbindung zu Marc Chagall auf. Es nicht aber nicht so sehr der Zeichenduktus, die Farbwahl und der Farbauftrag, also die äußere Art der Darstellung, sondern es sind die Inhalte, die verarbeitet werden. Es sind die Themen: Frauen, Freundschaft, Partnerschaft, Familie, Liebe und Leidenschaft, – kurz gesagt – Miteinander, Kommunikation, Beziehungen und die damit verbundenen Wünsche und Sehnsüchte: die Suche nach dem Glück, nach Erfüllung, nach einer Vollkommenheit der Welt, in die man selbst eingebunden ist ...

Ich meine hier nicht eine Friede–Freude–Eierkuchen-Glücksseligkeit, sondern eine starke, in der Auseinandersetzung mit der Umwelt und im Kontakt mit anderen erwachsende, von gegenseitiger Achtung getragene nachhaltige Beziehung, ohne das Wort Nachhaltigkeit hier strapazieren zu wollen.

Wenn Chagall ganz Mann ist in seiner Darstellung, in seinen – auch sexuellen - Wünschen und Träumen, dann sind Carla Weckeßer und Cvetanka Kirilova Schnorrbusch ganz und gar Frau. Sie spiegeln die weibliche Seite wider; sie kommunizieren auf der Ebene der alten weisen Frauen, die wir in allen Kulturen kennen als Göttinnen der Schöpfung, der Fruchtbarkeit, des Bewahrens und Heilens, als Schamaninnen und Priesterinnen, die den Kult weitergeben von einer Generation zur anderen. Ihre Themen sind diese Ur-Themen der Menschheit – das Suchen nach dem Sinn des Lebens, nach Vollkommenheit und Glück, das uns allen eigen ist. 

In den Liebespaaren – vor allem in den schwebenden, spiegelt sich die Sehnsucht nach erfüllter Liebe und Partnerschaft. Hyronymus Bosch hat seine Liebespaare in durchsichtige schwebende Kugeln eingehüllt, sie ein- und damit abgeschlossen von der Welt. Die Liebespaare von Carla Weckeßer fliegen ebenfalls davon – aber diese Paare sind frei – frei in jedem Sinne: in ihrer Liebe, in ihrem Bekenntnis zueinander haben sie sich losgelöst von der Welt, haben sie sich ein eigenes Universum erschlossen. Stark und doch wolkenleicht schweben sie davon und wir spüren das Verlangen, ebenfalls aufzusteigen in die Wolken. Vielleicht begegnen wir ja dort Cvetanka Kirilova Schnorrbuschs Wolkenfrauen. Sie sind keine ausgezehrten Models, sondern Frauen im besten Alter, sich selbst und ihrer Körperlichkeit bewusst, wiegen sie sich auf ihrer Wolke wie in einem Tagtraum gefangen und vermitteln dabei ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Sie sind in sich rund – innerlich wie äußerlich. Für mich haben sie etwas Archaisches, sie erinnern mich an die ersten Venusdarstellungen der Menschheit überhaupt – der Venus von Willendorf beispielsweise. Voller Wärme und Liebe sind sie, Urmütter, Beschützerinnen und Symbol der Fruchtbarkeit. Mit ihren schönen großen bloßen Brüsten sind sie wie eine Herbstidylle – wie der der Genuss reifer süßer Früchte. Diese ganz bewusst gestaltete starke Erotik der Fruchtbarkeit findet sich genauso in den Bildern von Carla Weckeßer wieder.

„In der Kunst wie im Leben ist alles möglich, wenn es auf Liebe gegründet ist.“ sagte Marc Chagall – und die Grundlage Liebe durchzieht diese Ausstellung, durchzieht jedes Kunstwerk. Nicht die schwärmerische Liebe der Jugend, sondern die bewusste, kraftvolle, starke erotische Beziehung reifer kluger Frauen. Immer wieder finden wir Paare mit Ziegen oder dem Sichelmond, diesen uralten Fruchtbarkeitssymbolen wieder, Paare, die immer eng aneinander geschmiegt sind und die die körperliche Nähe des anderen genießen. 

Weiter finden wir Frauen mit Musikinstrumenten, die sie an sich drücken wie einen Geliebten; in einem Tanz leben sie ihre Gefühle aus, ihre Musik ist die Grundschwingung für die Knotenpunkte des Lebens, Geburt, Partnerschaft, Hochzeit, Familie und Tod. Und wir finden Frauen mit ihren Kindern, Mütter, die sich ganz verschenken, sich ganz hingeben und eins werden mit ihrem Kind. Hier sind Urgewalten am Werk.

Carla Weckesser hat eine Zeile aus einem Rilke-Gedicht als Titel eines Bildes gewählt: 

wie damals, da uns nichts geschah als nur

was einem Ding geschieht und einem Tiere: 

da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre 

und wurden bis zum Rande voll Figur. 

 

Die Kunstwerke von Carla Weckeßer und Cvetanka Kyrilowa Schnorrbusch sind Therapie, sind wie ein Schutzschild gegen die Härte und vor allem gegen die Hektik unserer Zeit. Ich selbst lebe seit einigen Jahren mit einem kleinen Bild von Carla Weckeßer, und zuweilen, wenn ich ein wenig Ruhe brauche, versenke ich mich hinein in diese kleine Frauendarstellung. Und obwohl man so eine Arbeit zu kennen glaubt, ändert sie sich mit der Stimmung, mit der man sie betrachtet. Sie ist immer neu und anders und immer gleich kraftvoll - tröstlich und weiblich – wie der heutige Tag übrigens40 Tage nach dem Weihnachtsfest (im keltischen Kalender um einen Tag verschoben) das Imbolc- das Mondfest, später Mariä Reinigung und noch später Maria Lichtmess genannt: im Urchristentum ging man davon aus, dass die Frau (Maria) nach der Geburt 40 Tage unrein war. Der 2. Februar war der Tag, da sie sich mit einem Opfer – einem Lamm und einer Taube – beides wieder Fruchtbarkeitssymbole – im Tempel freikaufen konnte. Und danach macht die Sonne einen Sprung und die Tage werden spürbar länger – es ist der Beginn einer hellen und guten Zeit. Und nun haben wir hier, in diesem neuen Licht, diese Ausstellung.

Sehen Sie sich die Arbeiten unserer beiden Künstlerinnen an: Die wunderbaren Skulpturen aus Elbsandstein, dessen natürliche Maserung von der Bildhauerin fein in die Gestaltung der in sich ruhenden, mit sich innerlich und äußerlich im Einklang stehenden Frauen eingebunden wurde: klingende Linien, kraftvoll und voller Leidenschaft. Und freuen Sie sich an den wundervollen paradiesischen Farben bei Carla Weckeßer. Ganz besonders möchte ich Sie auch auf ihre brillante Drucktechnik hinweisen, ob Monotyphie oder Radierung. Lassen Sie das Auge wandern, entlang an Wellen und Spiralen und finden Sie Ruhe in den Kreisen und Punkten. Vor allem aber: ergreifen Sie die Gelegenheit und genießen Sie das Gespräch mit zwei außergewöhnlichen Frauen.

 

Prof. Hannes Baier – "Ein Ausweg aus der Sprachlosigkeit - Carla Weckessers intuitiv-poetische Malerei", Katalogtext, 20.03.2005

Es gibt den wenig begangenen Pfad in der Malerei, der auf „Künstlichkeit“, zugunsten von sinnlicher Transzendenz verzichten kann.

Dabei wird nicht dem allgemeinen „Fortschritt“, dessen Bannerträger, hier wie dort, das Kunstwerk sich gerne modisch verpflichtet, das Wort geredet, sondern allein in der Existenz des einzelnen Künstlers und seiner inneren Orientierung das Ziel der Ausführung gesucht. Diese Verinnerlichung ist ein Wagnis und bedarf eigener Ausdrucksfähigkeit. Das Gewollte entsteht im Umkreisen innerer Befindlichkeit, rückt Erinnerung, Erwartung, die Modi von Stimmung und Affekt von Zeichenkonventionen ab, um in authentischer Gestalt in Deutung „Nähe“ zu finden.

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Der eigentliche künstlerische Akt manifestiert sich zugleich emotiv und strukturell in Verschränkung von innerer Vorfindlichkeit und Formbewusstsein. Das Ergebnis ist eine Wahrhaftigkeit der Aussage, die anzurühren, zu erschüttern vermag. Darin bleibt Absichtslosigkeit erhalten; sie zieht – im Idealfall – ohne den Gestus gewollter Dissonanz durch das Oevre eines Künstlers.

Einen solchen Idealfall stellt das Werk von Carla Weckesser dar. Unaufdringlich beherrscht sie „die Kunst vom Schlichten zu sagen“ (R.M. Rilke), dem Unbekannten in seinen Koinzidenzen, in seiner Bedeutsamkeit eine Unschuld des inneren Blickes zu geben. Alles steht bei der Künstlerin in demselben Licht, in derselben Luft, während der Betrachter mit sich sprechend, in einer Art Schattendunkel steht, jenem lichtlosen Inneren, das zu sympathetischer Betroffenheit geführt werden soll. So entdeckt man schließlich Geschautes als Gesehenes. Das Ich als Gegenüber, als das Andere kommt spiegelhaft auf eindrückliche Weise zurück, noch unerkannt, mit den Mitteln konventioneller Sprache in das Bild gedeutet. 

Die Künstlerin aber bringt zustande uns wachzurufen, wodurch uns erhellt, dass „durch die Freiheit des Subjekts im Kunstwerk, das Subjekt weniger subjektiv ist als die diskursive Erkenntnis“ (Th. Adorno).

Kommunikative Bildsprache erscheint mit einem Male verarmt, bloßgestellt angesichts der intuitiv-poetischen Kunst der Aussage von Carla Weckesser. 

Ein Erzittern von Beseelung gelingt ihr sowohl in der farbigen Zurückhaltung der Monotypien und Radierungen, als auch in ihren Farbstimmungen der Acrylbilder.

Scheinhaftigkeit wird Eigentlichkeit – es wird zum Unbekannten im Denken. 

Die  Arbeiten der Künstlerin umschreiben mit äußerster Sensibilität, in der Thematik, im  Pinselduktus, der Radiernadel, der Schattierungen und Tonwerte immer wieder mit der ihr eigenen Leichtigkeit die Affinität des Kunstwerks zum Subjekt. 

Die Gefühlswelt des Traumes, der menschlichen Begegnung, des Augenblicks von Glück, der Beschaulichkeit, der vertrauten Gleichgestimmtheit, der Zärtlichkeit, der Umsorgung, der Festigkeit in Bescheidung; der wärmenden Duldsamkeit, der Suggestion von Musik im Netz tönender Bezüge, der Seelendemut, des kostbaren Aufschubs, der scheuen Erinnerung; des sanften Widerstands gegen eine nimmermüde Wirklichkeit, der zögernden Empfindsamkeit, der verschatteten Wachestunden, des Vorausbildes der Gegenwart, der Deutung diesseitiger Zeit, des kindlichen Staunens, der Selbstprüfung … sowie die ständige Auseinandersetzung mit dem Ich als einer Faktizität von Weiblichkeit, vermögen Evokationen im Betrachter hervorzurufen, die nachhaltig auf die Sicht der Lebensdinge zu wirken vermögen.

Kreative Freude und Impetus des künstlerischen Ausdrucks bestehen real darin, sich zu übertreffen, sich selbst zu erstaunen. Eben dieses ist auch das Bleibende im Ereignis der Auseinandersetzung mit den Bildern der Künstlerin: Dass man sich selbst in der Betrachtung als schöpferisch erfährt. 

Der schönste, erhabenste Teil der Kunst ist, wenn sie uns zu lehren vermag zu sehen, was doch sichtbar ist,  was notwendig sichtbar werden muss, sobald es 

im Sichtbaren gezeigt worden ist -  aber doch desjenigen bedarf, der es aufzudecken imstande ist, wie es der Bilderwelt von Carla Weckesser gelingt.

 

Regina Niemann – Rede zur Ausstellungseröffnung Svetanka Schnorrbusch und Carla Weckeßer, Musum Schloß Klippenstein, Radeberg 12.05.2001

... Gestalten, Gesichter und Köpfe, die wundersamen Wesen von Carla Weckeßer

sind eingebunden in ein spannungsgeladenes Farb- und Formspiel. Spiel im wahrsten Sinne des Wortes, theatralisches, gestisches, licht- und dunkeldurchflutet in einem  imaginären Raum. Selbst über einem still in die Musik versunkenen Antlitz breitet sich ein nervöser Schatten. Es gibt in vielen dieser Arbeiten eine ungewöhnliche Dynamik, eine Unruhe, die sich manchmal zu aggressiven  Formen, zu wilden Strichorgien steigert. Aber im selben Moment, da wir das Ungezügelte, das Dramatische wahrnehmen, tritt aus diesem Umfeld das Andere: das  menschliche Wesen oder das Phantasiewesen hervor: mit großen dunklen Augen, von einer roten geflammten Fläche  eingesogen, mit einem archaischen Gesicht , - schweigend, mit Geige und Flöte in einem Wirbel von laut und leise verwoben; - ein heller, zarter Leib voll Sinnlichkeit, von Grün und Braun bedrängt, in dessen Farbschatten die unendlichen Konflikte und Seeligkeiten der Zweisamkeit verborgen scheinen; - dann "Die Umarmung", - für die Ewigkeit – und darüber jagen die Elche über das Land.

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Unendlich möchte man diese symbolhaften, erzählerischen  Gründe erforschen, und ich bin sicher, man würde immer Neues finden, das Gesehene wieder anders erspüren zu einer anderen Zeit.

Eines der schönsten Blätter ist für mich "Die Sternengucker": die zwei Gestalten tragen in ihrer Haltung alle Sehnsucht der Welt und alle Bedrängnis  – „dreh dich nicht um, dann wirst du zu Stein?!  Schau nicht in die Luft, dann siehst du die Realität nicht?! Frage die Sterne! Sei die Schmetterlingsfrau und der Wolfsmann – schau, -  sieh, -  erhebe dein Haupt!     

In diesen Blättern von Carla Weckesser liegt das Zeitgemäße in der unterschwelligen Suggestion rasanter Schnelllebigkeit, die uns entwurzelt und den Fortschritt fragwürdig macht.

Ihr grafisches und malerisches Werk ist stark geprägt vom leidenschaftlichen Engagement für tätigen Widerstand gegen die Misere, die wir erleben. Und sie legt ihren Trotz, ihr Handeln,  ihr Denken und ihr Fühlen in die Welt der Kunst, des Theaters, des Filmes und der  Aktion. Diese Bereiche sind nicht getrennt in ihrem Schaffen, jedes Genres lebt vom anderen und von ihrem Umgang mit der Realität. Und die Künstlerin scheut sich nicht, bis hin zur Arbeit als Kunsttherapeutin und Workshops mit Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung  ihr ethisches und  ästhetisches Glaubensbekenntnis auszuleben. Das erinnert mich an die großen Ideale der Bauhäusler, an die (vielleicht doch fragwürdigen) Ansichten von Beuys, jeder könnte ein Künstler sein, an manch  unausgesprochene Sehnsucht der Künstler nach symbiotischer  Gemeinsamkeit des Volkes im Umgang mit Kunst.

Dass Carla Weckesser diese hohen Ziele einfach auf ihre Stufe hebt und arbeitet, lebt und kämpft, das erfüllt mich mit Hochachtung. Und dass sie dafür eine beeindruckende künstlerische Entsprechung findet, können Sie in dieser Ausstellung erfahren.

(Auszug)

 

Günter Schöttner – Rede zur Ausstellungseröffnung, Dresden, 29.10.1997

Zunächst nimmt man Farben wahr. Kräftig flammendes Rot, leuchtendes Blau, sanfte Grautöne, Gelb - mal zurückhaltend dahingewischt, mal bestimmend durchgehend die Bildfläche füllend. Dies ist vor allem bei den hier versammelten Monotypien zu beobachten.

Es gibt diese Farben in den Radierungen z.B. aber auch,  zart pastell, wie gehaucht, einfühlsam aufgebracht, dem Auge wohltuend, ja schmeichelnd. Dieser Farbauftrag ist getragen von einem freien und gestischen Arbeitsprozeß. Die Farben werden schwungvoll ausladend, voll Emotionalität, vom Blatt geradezu besitzergreifend aufs Papier gebracht. In dieses Farbgeflecht, diese Überlagerungen, Strukturen und Gesten hinein werden dann feine Konturen formuliert. Plötzlich ist es, als ob diesen Farbflächen Leben eingehaucht wird, sie über sich selbst hinauswachsen. Da entstehen menschliche Figuren, Porträts, Akte, Paare, Tiere tauchen auf, Bewegung entsteht. Je länger man eine solche Arbeit betrachtet, umso mehr Entdeckungen werden einem gewahr. Durch die Figurierung der Farben wird quasi Bewegung assoziiert, Schwingungen, Dialoge, Nachdenklichkeit und Tiefe tauchen auf und nehmen den Betrachter in ihren Bann.

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Dabei bleibt aber immer das Gestische des Farbauftrags erhalten, die Figuration hat nichts Abbildhaftes sondern bleibt im Allegorischen, also in sinnbildlichen, gleichnishaften, in der Personifikation nicht anschaulicher Begriffe.

Carla Weckeßer ist eine Poetin, ihre Monotypien, Radierungen, die Lithografien, ihre Mischtechniken sind geradezu lyrische Bilder. Es sind Arbeiten, die ohne die Figuration, das Gegenständliche nicht auskommen mögen, aber auch das nur Abbildhafte als zu einengend von sich weisen, sondern eher der phantastischen Dimension, dem Unbewußten, dem Traum Raum anbieten. Der Betrachter darf nicht nur, er ist im Gegenteil geradezu herausgefordert, sich auf die Arbeiten einzulassen und seine Sicht und Sehweise, seine Erfahrungen, seine Erkenntnisse einzubringen.

Carla Weckeßers künstlerische Arbeit ist geprägt von der Suche und Sehnsucht nach Harmonie. Dabei spielt das Bild vom humanen Menschen als auch die Hoffnung, mit dieser, unserer Welt möge es gut ausgehen, eine außerordentliche Rolle. Überhaupt spielte das Wort "Hoffnung" in unserem Gespräch in Vorbereitung dieser Ausstellungseröffnung eine große Rolle. Für Carla Weckeßer ist Hoffnung wohl überhaupt die Lebens- und Überlebensmetapher, vielleicht gerade deshalb arbeitet sie z.B. so gern mit Kindern, schätzt deren unvoreingenommene, unverbrauchte Weltsicht. Und sicher aus diesem Grunde hat sie sich immer wieder in verschiedenen Ausstellungsprojekten und Kunstaktionen auch politisch zu Wort gemeldet, für die Rechte von Frauen gestritten oder für mehr Gerechtigkeit mit der 3. Welt eingesetzt.

Hoffnung als Allegorie für Leben, also sprich, wer Hoffnung in sich trägt, kann auch wirklich leben, dies ist ja auch uns allen hier eine durchaus vertraute Situation und Problematik.

Carla Weckeßers Arbeiten sind Bilder von der Hoffnung und vom Leben. Sie bieten uns eine Sicht auf den Menschen, auf die Welt - voller Poesie und Sinnlichkeit. Die lyrischen Metaphern bringen uns etwas, was in unserer heutigen Welt schon fast vergessen scheint und nur noch in den Künsten eine vermeintliche Rolle spielt: Phantasie und damit deren Geschwister, die Träume und die Wünsche. Die Arbeiten der Künstlerin liegen zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Realem und Irrealem; phantastischer Realismus möchte man sagen, ein Begriff zwar, der schon in der Kunstgeschichte besetzt ist, aber m.E. diese Bilder durchaus zutreffend beschreibt.

" ... die Realität ist nicht die Wahrheit. Der Raum zwischen Realität und Wahrheit ist der Ort der Kunst", sagte Heiner Müller einmal in einem Interview.

Carla Weckeßer füllt diesen Raum zwischen Realität und Wahrheit mit diesen wunderbar poetischen Blättern zart und genau, herausfordernd, gestisch kraftvoll, vor allem aber mit Träumen, Wünschen und Hoffnungen, eben auf ihre Art.

 

Karin Weber – Rede zur Ausstellungseröffnung Galerie Kunstetage Prohlis, 15.01.1997

Eine Analyse gab mir sehr zu denken, die mir zufällig unlängst in die Hände fiel. 
Laut dieser hat das deutsche Publikum ein nur sehr wenig spontan und sinnlich-haptisch ausgeprägtes Verhältnis zu Bildern und Plastiken. Es existiert eher eine vordergründig geistige, alles bestimmende Beziehung gepflegter Bildungstradition zur Kunst, sei es eine intellektuell rationale, räsonierende oder eine empfindsam verinnerlichte Beziehung.

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Man möchte vor allem Bescheid wissen, informiert sein, mitreden können. Aber diese Regsamkeit weckt keinerlei Besitzerwünsche. Es ist eine begierdelose, tugendhafte, passive Einstellung zur Kunst, die fatale Folgen für die reale Existenz der produktiven Kultur hat.
Die existentiellen Auswirkungen spüren Künstler und Galeristen immer härter - in einem vergeistigten Klima des puritanischen Verzichts. Und so kann es passieren, daß im Trubel lautstarker Tagesmoden, mit denen um die Gunst eines kaufkräftigen Publikums gebuhlt wird, einen nicht vorhandenen Bedarf zu wecken, manches untergeht und hinter den Klischeevorhängen der Kunst-Ismen übersehen wird, besonders wenn es leise und kleinformatig daherkommt. Ich freue mich, daß ich diese Ausstellung mit zahlreichen poesievollen, anregenden Arbeiten von Carla Weckeßer hier in der Galerie der Kulturetage Prohlis, an staatlich subventionierter Stelle, eröffnen darf, in der Hoffnung, daß vielleicht bei dem einen oder anderen von Ihnen das eine oder andere Blatt dieser vorzüglich präsentierten Ausstellung einen quasi leiblichen Bedarf erweckt.

Carla Weckeßer (Jg. 1949) ist eine vielseitig talentierte Frau. Sie studierte an der Technischen Hochschule Ilmenau, an der Karl-Marx-Universität in Leipzig, war Gasthörerin an der HfBK in Dresden. Sie sammelte Erfahrungen am Theater als Dramaturgin, Regisseurin und Bühnenbildnerin, beteiligte sich an verschiedensten künstlerischen Projekten wie Experimentalfilmen, Wandbildaktionen, thematischen Installationen und Musikhappenings. Seit Mitte der 80er Jahre entstehen parallel dazu freie bildkünstlerische Arbeiten einer poetischen Gestimmtheit, ausufernder linearer Fabulierlust, entstehen Bilder als visuelle Partituren.
Schreitet man in der Ausstellung den Reigen der Arbeiten ab, dann spürt man eine angenehme Beseelung und Verzauberung der linearen Kompositionen durch Farben. In einem eigentümlichen Schwebezustand versonnener Melancholie begegnen sich Wunschbilder mit schlicht menschlichen Begebenheiten.
Carla Weckeßer bedient sich der Farbe wie eines Jungbrunnen, als Material wie als Kraftspender. Sie erhebt Tonwerte formal wie inhaltlich zum vibrierenden Ausdrucksträger von Stimmungen und Gefühlsregungen. Dem bewegten Miteinander von Liniengespinsten und diffusen Farbkörpern erscheint die Wahrnehmung eines vegetabilen Wachsens und Quellens zu entsprechen, Anfang und Ende gehen ineinander über.
Für Adorno äußerte sich die Entfremdung zwischen den Menschen darin, daß die Distanzen fortfielen, “denn nur solange sie sich nicht immerzu auf den Leib rücken, bleibt Raum genug zwischen ihnen für das feine Gefädel, das sie miteinander verbindet und in dessen Auswendigkeit das Inwendige sich erst kristallisiert.“
Carla Weckeßer respektiert die Aura ihrer Traumwesen in den Arbeiten und hebt somit das Unbehagen, das Ziellosigkeit und Fremdbestimmung hervorrufen, auf. Ihre Figurationen sind unterschwellig Zeichen einer desillusionierten Erkenntnissuche - mit denen sie sich letztlich über die Härte des Alltags hinwegsetzt mit Hilfe von Phantasie, Schönheit, Poesie, Harmonie. Die Kraft des positiven Gedankens verleiht Flügel in einer zermürbenden Gegenwart, in der menschliche Werte im Konsumrausch zu verkümmern drohen. Freiheit und Spontaneität in der Kunst ist wirklich erlebbar im Sich-Hingeben. Die Bilder leben von einer kraftvollen, intuitiven Artikulation von Form und Farbe, deren Kraftwirkungen nicht nur die Künstlerin leidenschaftlich verfallen ist, sondern die auch den Betrachter mit ebensolcher Intensität an sich ziehen können.
Einen besonderen Platz in der Ausstellung nehmen Monotypien ein. Dieses graphische Verfahren, das jeweils nur einen Abdruck erlaubt, ist eine außerordentlich ästhetische Technik, die lockere und feine Farb- und Materialwirkungen ermöglicht. Die Monotypie fand seit Ende des 19. Jhd. besonders Verbreitung. Ein bedeutender Künstler, der sich der Technik bediente war Edgar Degas.
Carla Weckeßer favorisiert nachfolgende Umsetzung: die Monotypie von eingewalzter Glasplatte: auf die Farbschicht wird ein Blatt Seidenpapier gelegt, auf dessen Rückseite man mit den Händen zeichnet, d.h. das Papier an die gewalzte Glasplatte drückt und damit gegenseitig die Zeichnung bewirkt. Die mit den Fingern gezeichneten Linien lassen sich durch Tonwerte z.B. durch Andrücken des Papiers mit der ganzen Hand bereichern. Wirkungen des Zufalls werden bewußt ausgenutzt. Nach dem Abheben zeigt sich auf der Papierrückseite die Darstellung intensiv und mit großer Unmittelbarkeit, mit den für die Monotypie charakteristischen weich verfließenden Grenzen. Korrekturen sind nicht möglich. Diese Art der Monotypie verlangt Konzentration und Intuition zugleich. Nach einem Abdruck bleibt auf der Glasplatte die Zeichnung mit hellen Linien stehen. Von dieser noch frischen Platte läßt sich ein Negativabdruck, also mit weißen Linien auf farbigem Grund machen. Beide Arten, indirekter und direkter Druck, können kombiniert werden. Eine andere Form ist die Monotypie von bemalten Platten aus Metall, Plexiglas oder Preßspan, wenn der Druck mittels Presse oder Reibedruck per Hand im Abklatschverfahren erfolgt.
Carla Weckeßer lädt alle interessierten Besucher ein, sich heute abend mit der Technik handgreiflich auseinanderzusetzen, diese selbst unter fachgerechter Anleitung auszuprobieren.

In den Arbeiten der Künstlerin ist zu erkennen, daß sie Farbe als fundamentalen Raumwert für sich als Zeichnerin erkannt hat, um die Grenzen zwischen Ort und Zeit zumindest auf dem Papier aufzuheben. Man kann sich weder bildlich noch gedanklich den gesamten Zusammenhang zwischen Mensch und Raum, sprich Welt, ohne Farbe vorstellen. Man muß sich tiefer in die Farben hineinsehen und Werte für sich finden, die eine Bedeutung jenseits der physikalischen Werte des Lichtes haben, die näher der natürlichen Realität des Geistigen sind als dem Spektrum, näher dem unerforschten Gebiet des Instinktes denn einer phantastischen Interpretation. Technik, Lebenserfahrung und Poesie fließen in der Methode, im Prozeß künstlerischen Handelns von Carla Weckeßer zusammen. So entstehen unvermittelt Bilder aus flirrenden Farbzonen, in sich verwobenen Liniendickichten, aus denen Gesichter wachsen, Pflanzen, kauernde, rundliche weibliche Akte voller Lebensfreude, Paare, Tiere, paradiesische Landschaften, ekstatisch Musizierende, traumhaft verwunschene Szenarien, schillernde Räume der Verführung und Verwandlung. Diese Bilder sprudeln aus dem Innersten der Künstlerin wie ein Endlosband hervor, gleich einer sehnsuchtsvollen explosionsartigen Entladung verborgener Energien, die nur so zwangsläufig aus dem Bauch des Gedächtnisses gespeist werden. Dies ist eine besondere Form von Lebensbewältigung, sich spielerisch mit den Mitteln der Kunst treiben zu lassen, um im gleichen Moment mehr über sich selbst zu erfahren.
Parallelitäten zur Musik sind gewollt, ja zuweilen Grundlage der künstlerische Anstrengung. Die absolute Gegenwart, die die Musik auszeichnet, das Bewegt- sein im Hier und Jetzt übersetzt die Künstlerin ins Optische. Ihre Farben sammeln sich zu spielerischen Akkorden, ihre Formen steigen wie traumhaft gestimmte Tonleitern aus dem Dunkel in die Höhe. Linien versetzen Farbflächen in Schwingung als Entäußerung von Lebensgefühl und Lebenskraft, wie auf den Unikaten Druckgrafiken. Es handelt sich um sehr interessante Arbeiten, da mehrere druckgraphische Techniken in einem Blatt vereint sind.
Stilistisch kann man die Werke von Carla Weckeßer kaum einordnen. Figürliches verschmilzt auf besondere Weise mit Abstraktem zu einem harmonisch ausbalancierten, phantasievollen Zusammenklang. Teilweise ordnete Carla Weckeßer ihre Monotvpien prägnanten Gedichtzeilen von Bettina Melzer zu, die etwas von der den Bildern eigenen Stimmungen weitertragen. Es sei mir gestattet, am Ende meiner Einführung in die Ausstellung eine Gedichtzeile von Bettina Melzer zu verlesen:
    
    “Strandgutsucher
    die kundigen suchen nach federn von flügeln der engel
    und leugnen es nicht.”

Einsam und zweisam versinken die menschlichen Wesen auf den Geschichtenbildern von Carla Weckeßer in einem wundersamen Mikrokosmos, in dem alles möglich zu sein scheint, in dem sich Träume erfüllen, die Erde dem Himmel und den Gestirnen nah ist.
Ich wünsche der Ausstellung viel Erfolg!