Spielwagen Dresden 1982 bis 1986 - Fotografien von Ronald Weckesser
„Alles, was man dem Kind beibringt, nimmt ihm die Chance, es selbst zu erfinden.“ (Jean Piaget)
Die SPIELWAGEN-Idee lernte ich zufällig kennen, beim Festival des Politischen Liedes 1982 in Berlin. Ich spielte einfach mit in einem Raum mit vielen Kindern und einigen Erwachsenen. Dieses Spielen war so einfach und machte so viel Spaß und gute Laune, dass ich dachte, weshalb so etwas nicht auch mal in Dresden versuchen?
Daran interessierte andere Erwachsene waren schnell gefunden. Freunde, deren Freunde, jünger, älter, aus verschiedenen Berufen, manche schon mit eigenen Kindern. Den ersten Versuch starteten wir während eines Festes im Jugendklubhaus Alaunstraße in der Dresdner Neustadt. Wir bauten mit den Kindern eine Bühne und spielten THEATER.
Später kamen andere Spielthemen dazu: ZIRKUS, WIR BAUEN EINE STADT, RALLY MONTE COSWIG, DIE DRACHENBURG IM MOHRENHAUSPARK, INDIANERSPIEL, GESPENSTERBAHN, EXPEDITION AFRIKA, MUSIK-COMPUTER usw.
Alle diese SPIELWAGENSPIELE hatten eins gemeinsam: Sie waren improvisiert. Die zugrunde liegende Idee war: Hier hast du verschiedenen Materialien, Werkzeuge, ausrangiertes Gerümpel und Kostüme, gesammelt auf Böden, in Kellern und in Theaterwerkstätten. Mach was damit. Jedes Spiel bestand aus einer langen BAUPHASE. Da wurde gesägt und gehämmert, mit Nägeln und Stricken verbunden. Phantasieräume, Phantasieobjekte entstanden, sie wurden angemalt oder auch nicht. In ihnen konnte gespielt werden oder mit ihnen. Dazu kamen Verkleidungen, Gesicht- und Körperbemalungen. Kleine Rollenspiele bei Theaterspielen oder Zirkusauftritten, Handlungsspiele beim Brand in der Stadt, dem Retten der Verletzten im Krankenhaus, dem Raub der Prinzessinnen durch den Drachen und dem Kampf gegen den Drachen selbst. Wettkampfähnliche Spiele bei der Auto-Rally.
Was machten wir Erwachsenen dabei? Wir spielten mit, waren manchmal Zuschauer, Anfeuerer. Wir machten nicht etwas vor, was Kinder anschauen, konsumieren sollten. Wenn wir den Kindern halfen, dann sehr zurückhaltend. Mal das Brett halten, wenn ein Kind sägen wollte, den Spiegel halten, wenn es sich anmalen wollte, ein Material suchen in den chaotischen Kisten, wenn es darum bat.
Bei einigen Spielen gab es so etwas wie einen Spielhöhepunkt, eine gemeinsame Aktion am Ende des Spiels: eine Aufführung, einen Umzug, eine Denkmaleinweihung, ein gemeinsames Essen/Trinken. Nach jedem Spiel wurde mit den Kindern aufgeräumt, alles wieder zerlegt und in die Spielkisten gepackt.
Gelegenheiten zum Spielen gab es reichlich: auf Spielplätzen, bei Kinderfesten, Wohngebietsfesten, in Kinderferienlagern, in Schulen und Freizeiteinrichtungen.
Die Erwachsenen von Spielwagen Dresden spielten ehrenamtlich, die Veranstalter übernahmen die Transportkosten der Spielmaterialien und die Materialkosten. Viele Materialien waren Spenden oder Fundstücke, einiges musste nachgekauft werden wie Farben, Pinsel, Nägel, Werkzeuge, Krankenhauszubehör, Schminke, Essen und Trinken.
Die meisten Spielwagenveranstaltungen wurden fotografisch dokumentiert, einige wenige gefilmt mit einer Schmalfilmkamera.
Alle Veranstaltungen fanden an den Wochenenden statt. In unserer Familie hieß es dann: Sonntag fahren wir nach Meißen, Spielwagen. Die Kinder fragten: Was machen wir da? Vielleicht eine Stadt bauen. Die Kinder kamen mit, Ronald fotografierte, ich organisierte den Materialtransport und die Anwesenheit der erwachsenen Mitmacher. Dann eine kurze Absprache am Veranstaltungsort: Wer kümmert sich im Stadtspiel um was? Theater, Kneipe, Orchester, Denkmal, Krankenhaus, Feuerwehr, Fußgängertunnel, Standesamt ...gebaut wurde, was allen so einfiel. Und wie sollte der Schluss sein? Eine Theateraufführung? Dann schon mitten in der Bauphase ein Gewitter und heftiger Regen. So konnte ein Spiel manchmal auch enden. Nach dem Regen dann keine Theateraufführung - wir pflanzten einen Baum auf der Elbwiese.
Bei der Auto-Rally haben wir schon Wochen vorher alte Kinderwagenunterteile gesammelt. Das Spiel in Coswig begann mit dem Fahrzeugbau. Am Ende des Spiels gab es dann den Wettkampf, die Siegerehrung auf dem gebauten Podest. Eine Musikkapelle war entstanden, eine Kneipe mit Getränken, ein Krankenhauszelt, wo die „Verletzten“ verbunden wurden, die Feuerwehr, die darauf wartete, dass endlich mal ein Brand ausbricht bei den Autos.
Der Schiedsrichter wurde von einem Schauspieler der Landesbühnen mit lauter Stimme gespielt. Er sorgte auch dafür, dass die kleineren, die Schüchterneren, die Mädchen zum Zuge kamen: die Mannschaften wurden nach Alter zusammengestellt und es wurde die schnellste Rennfahrerin gefunden.
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Gab es Probleme für SPIELWAGEN DRESDEN? Wurden wir von den DDR-Behörden und ideologischen Wächtern behindert in unserem Tun? Nein. Wir wurden nur nicht hochgejubelt in Zeitungsartikeln und übermäßig gefördert und ein damaliges Pionierhaus wollte nicht unser „Träger“ sein. Bürgerinitiativen waren noch nicht so an der Tagesordnung im Sozialismus. Alles brauchte ein „woher und wohin“. Auf die Frage: Von wem seid ihr denn? Konnten wir sagen: Vom Kulturpalast Dresden. Der hatte einen künstlerischen Direktor, der es auf sich nahm, einen SPIELWAGEN zu haben, ohne darin mitzuspielen und mitbestimmen zu wollen.
Ein zeitraubendes Problem war für uns die Lagerung des Spielmaterials. Im eigenen Keller ging es nicht, der war zu klein und für die Kohlen vorgesehen. Kurzzeitig hatten wir einen Bauwagen für unser Material, der stand dann auf dem Hof des Jugendklubs in Prohlis. Aber es war zu schwierig, ihn fahrtüchtig zu machen, so dass wir uns wieder von ihm trennten. Die Spielmaterialien lagerten wir mal hier, mal da, immer im Gespräch mit der KWV (kommunale Wohnungsverwaltung) auf der Suche nach leerstehenden Läden oder Werkstätten.
Nach der Wende gingen alle Materialien wie auch die Idee des improvisierten Spielens in einen Kinderladen über.
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Was hat diese Art zu Spielen mir gegeben? Es war eine Herausforderung, jedes Spiel.
Ich wusste niemals genau, was da wird, und wie es wird. Es gab mehr Unsicherheitsfaktoren als Sicherheit: das Wetter, wie viele Kinder kommen? Fünf oder hundert? Wer von den mitspielenden Erwachsenen wird wirklich dabei sein? Was ist das für ein Ort, was werden wir vorfinden an Landschaft, an Raumsituationen? Gibt es nur Mitspieler oder auch Publikum? Was wird rund um uns passieren an Aktionen z.B. während eines Volksfestes? Spielen wir mit einer festen Kindergruppe oder mit Laufpublikum? Wie alt sind die Kinder? Wie lange werden wir spielen, 3 Stunden, 7 Stunden?
Bei all diesen offenen Fragen nicht gleich zu Hause zu bleiben, war das erste Kunststück. Sich während des Spielens bewusst zu bleiben, dass man hier jetzt keine Anführerin und diejenige ist, die das Spiel zum Erfolg führen muss - was immer das auch für jeden individuell bedeuten mag - ein schweres Tun. Sich zurücknehmen zu können, das zu akzeptieren, was da entsteht, auch wenn es einem selbst etwas dürftig erscheinen mag. Und hinterher mit den Erwachsenen Mitspielern zu reflektieren, was war das jetzt, was haben wir heute gemacht hier, haben wir uns zu sehr eingemischt? Die Kinder sollen spielen. Wir sind dazu da, ihnen die Voraussetzungen zu schaffen für dieses Improvisieren und dieses so lustvoll ihre Phantasie und Kreativität ausleben können, mehr nicht.
Naja, Spaß sollte es uns natürlich auch machen, nicht nur den Kindern. Und wie oft hab ich doch einfach gern mitgespielt.
Nach jedem Spiel hatte ich die Gewissheit: Es geht. Kinder spielen immer gern. Sie haben eine schier unbegrenzte Phantasie. Sie sind kreativ, wenn man sie lässt. Dabei wird Kreativität nicht als Produktion von Werken verstanden sondern nach Arno Stern als „eine Haltung im Leben, eine Fähigkeit, jedwede Gegebenheit der Existenz zu meistern“.
Und diese Gewissheit gibt Kraft, macht einen stark und sicher und anspruchsvoller.
Spiele bei Spielwagen Dresden waren nicht nur spontan und improvisiert und kreativ, sie waren auch sinnlich und kommunikativ, die soziale Kompetenz aller Beteiligten, der Kinder und der Erwachsenen herausfordernd.
Spielwagen Dresden war die Grunderfahrung für meine spätere künstlerische und kunsttherapeutische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. 1997 lernte ich Arno Stern und seinen MALORT kennen und wusste, den SPIELORT kannte ich schon länger.
Carla Weckeßer
Dresden, 2014